Der Osten der Stadt
Nach Aufschüttung des letzten Flußabschnitts des Bisagno und der Anlegung eines für diese Stadt ungewöhnlichen, regelmäßigen, rechtwinkligen Stadtviertels entwickelte sich die Stadt in immer größerem Maße nach Osten zu.
Die spärlichen, ziemlich homogenen Vororte wurden relativ rasch miteinander verbunden. Ausnahmen bildeten vielleicht Albaro, das seit Jahrhunderten von Adeligen und Bourgeoisie als Sommeraufenthalt privilegiert wurde, und das klimatisch besonders begünstigte Nervi.
Die übrigen Orte wurden bis in unser Jahrhundert hinein nicht sonderlich als Wohnorte geschätzt, zumindest nicht mehr als der westliche Küstenstreifen und das Polcevera-Tal.
Die Bestimmung als Wohnviertel dürfte im Osten der Stadt eher darauf zurückzuführen sein, daß es hier so gut wie keine Industrie gab, und daß die Küste des sogenannten «Levante» von keinem nord-südlich verlaufenden Tal (ausgenommen das kleine Sturla-Tal) durchquert wird und daher von den großen Verkehrswegen ausgeschlossen blieb.
Zweifellos entspricht das dort vorherrschende Küstenrelief — Buchten und Vorgebirge, vorwiegend Steilküste — dem zeitgenössischen Geschmack und dem ästhetischen Sinn unseres Jahrhunderts.
So stieg die Wertschätzung eines Gebiets, das in früheren Epochen zwar als malerisch, aber als unwegsam angesehen und außer acht gelassen wurde. Die einzige Verbindungsstraße war etwas im Landesinneren die Via Romana, wahrscheinlich mittelalterlichen Ursprungs; die Küstenstraße geht auf die Zeit Napoleons zurück und in den 60er Jahren wurde die Schnellstraße Corso Europa auf halber Höhe angelegt, um die neuen Stadtteile funktionell miteinander zu verbinden.
Vom Bahnhof Brignole aus erreicht man diese Straße über die Via T. Invrea, an deren Ende die Kirche Nostra Signora del Rimedio, Nachahmung eines gleichnamigen, abgerissenen Gotteshauses an der heutigen Via XX Settembre, zu sehen ist. Die Kuppel erinnert an die Basilika von Ca-rignano und erscheint in einer schönen Perspektive, am Ende einer langen und geraden Straße, was wirklich eine seltene, eher urbanistische als architektonische Besonderheit in unserer heutigen Zeit darstellt.
Corso Gastaldi führt am Verschiebebahnhof Terralba vorbei zum großen Gebäudekomplex des Städtischen Krankenhauses San Martino (1920 erbaut, der sogenannte «Mono-blocco» ist jüngeren Datums). Im Verwaltungsgebäude befindet sich das Museum des Krankenhauses (Museo degli Ospedali Civili) mit von Privatpersonen gestifteten Gemälden und zwei reichhaltigen Sammlungen von Apotheker- und Keramikgefäßen aus den alten Krankenhäusern «Pammatone» und «Cronici» des abgerissenen Stadtteils Portoria.
Die Schnellstraße Corso Europa besitzt zwar vier Fahrbahnen, ist aber eine von Wohnvierteln, Geschäften und Bürohäusern (Zweigstelle des italienischen Fernsehens RAI) gesäumte Verkehrsader.
Für den Touristen ist sie die schnellste Möglichkeit, von Genua nach Nervi zu gelangen. Eine Alternative dazu bildet die aussichtsreiche Küstenstraße von Corso Ita-lia über Via Felice Cavallotti, die die Ortschaf ten Boccadasse und Nervi nicht nur zu «Konsumgütern» des Fremdenverkehrs reduziert, sondern in ein abwechslungsreiches, aber dennoch homogenes Stadtbild eingliedert.
Das Viertel Sturla entwickelt sich längs der Mündung des Sturla und bachaufwärts in Richtung Hinterland mit den kleinen Siedlungen Borgoratti, Nasche, San Desiderio und Bavari.
Die Kirche Santissima Annunziata deren ursprüngliche Strukturen aus dem 14. Jahrhundert von barocken Formen verdrangt und später wieder in einem etwas gewagten Restaurierungsversuch ans Licht gebracht wurden, lenkt die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich.
Sie wurde in erhöhter Lage am Ende einer Treppe von der venezianischen Kongregation der Kanoniker von San Giorgio in Alga gegründet: dies ist ein weiterer Beweis für die zwar konfliktreichen, aber doch fruchtbaren Beziehungen zwischen Genua und Venedig.
In Sturla wird die Steilküste durch die kleine Bucht Vernazzola unterbrochen. Ab hier werden die Badestrände immer häufiger; das historische, marmorne, in sich geschlossene Genua macht einer modernen, zürn Meer geöffneten Stadt Platz.
Hier im Osten sind nur «saubere» öffentliche Einrichtungen untergebracht, Krankenanstalten und Sportanlagen, die durch das milde Klima begünstigt und mit dem gehobenen Standard der Wohnviertel vereinbar sind.
In Sturla befinden sich das Stadion Carlini und gepflegte Hallenbader (ein Rekord in einer Stadt, in der es an Sportanlagen mangelt); in Quarto wurde 1938 auf Grund einer Stiftung das Kinderkrankenhaus Giannina Gaslini gegründet, das in ganz Italien führend ist.
Über die Via Redipuglia kommt man zur Abtei San Gerolamo (Hl. Hieronymus), dem ehemaligen Mittelpunkt des Kunst- und Kulturlebens in diesem Gebiet. Sie wurde um 1350 von spanischen Mönchen gegründet, kam noch im selben Jahrhundert in den Besitz des Ordens der «Olivetani», die die Apsis erweiterten, behielt aber ihren Namen bei.
Vor nicht langer Zeit wurden die essentiellen gotischen Strukturen wieder in ihrer ursprünglichen Form freigelegt. Im 16. Jahrhundert wurde sie zur Abtei erhoben und von den mächtigsten genuesischen Familien, aus denen auch manch ein Abt stammte, prächtig ausgeschmückt.
Auch heute noch ist der Erzbischof von Genua gleichzeitig Abt von San Gerolamo. Unter den Kunstwerken, die teilweise aus anderen Kirchen stammen, sticht das wunderschöne Al-tarantependium mit den Kardinaltugenden (Michele D'Aria, 16. Jh.) hervor.
Die Küstenstraße führt weiter von der Piazza Sturla nach Osten und die Namen der Teilstücke, Via dei Mille, Via V Maggio stehen schon im Einklang mit der historischen Stätte des «Scoglio di Quarto» (Felsen von Quarto), von wo aus Garibaldi am 5. Mai 1860 mit seinen tausend «Garibaldini» aufbrach.
Der Felsen ist schon an und für sich imposant, aber auf dem höher gelegenen Piazzale Crispi erinnert ein Denkmal von E. Baroni ebenfalls an dieses geschichtliche Ereignis. Auch das Denkmal hat seinerseits historischen Wert: bei seiner Einweihung im Jahre 1915 hielt der Dichter Gabriele D'Annunzio eine Rede, bei der er für den Kriegseintritt Italiens plädierte.
Vor seiner Abfahrt war Qaribaldi Gast in der Villa Spinola in der Via Sartorio, nicht weit von der Via Antica Romana, der ältesten West-Ost-Verbindung, die von auch heute noch erhaltenen Renaissance-Palais und ausgedehnten Parkanlagen gesäumt wird (Villa De Albertis und Villa Carrara).
Besonders das Gebiet Castagna (der Name stammt von einer alteingesessenen Familie) ist landschaftlich reizvoll. Dort befinden sich auf der Bergseite die Villa Doria Spinola (am Corso Europa, wurde im 2. Weltkrieg schwer beschädigt), die Kirche Santa Maria della Castagna (dok. seit dem 11. Jh.) und das Oratorium San Rocco (18. Jh.); im Süden erstreckt sich der herrliche Park der Villa Spinola Quartara (heute Sitz der Benedikti nerabtei) bis ans Meer.
Nach Quarto führt die kurvenreiche Straße der Küste entlang weiter über Priaruggia (kleine, malerische Bucht) nach Quinto; hier erhebt sich auf einem kleinen Vorgebirge die Kirche Sant'Erasmo (15. Jh.). Sie blieb als einzige von hier zahlreich vertretenen Abteien, Oratorien und Wallfahrtskirchen erhalten, die Fischer und Seeleute vor Sturm und Seenot schützen sollten.
Quinto ist dicht besiedelt, verfügt aber über ausreichende Grünanlagen und einen schönen Stadtpark mit Schirmpinien und Aussicht auf den ganzen umliegenden Küstenstreifen.
Es ist mit Nervi in einem einzigen Verwaltungsbezirk zusammengefaßt. Nervi ist der größte und wohl auch der schönste Ort an der Riviera di Levante: sein mildes Klima, die Ursprünglichkeit seiner Landschaft, eine frühzeitige Berufung zum Fremdenverkehrsort und die sorgfältige Wahrung seiner landschaftlichen Reize, die dem Kanon unserer heutigen Wohnkultur eher entsprechen, als die historische Villenlandschaft anderer Stadtteile, sowie ein konkreter Bauplan aus dem Jahre 1953 haben diesen Ort besonders attraktiv gemacht.
Ein besonders schöner Spaziergang beginnt am kleinen Hafen (am Ende der Via Provana di Leiny), auf den alte Fischerhäuser und das ehemalige Kloster und heutige Internat G. Emiliani blicken.
Dieser kleine Winkel bewahrt trotz der modernen Vorrichtungen für Fischfang und Nautik noch seine alte Faszination. Hier beginnt die Strandpromenade Anita Garibaldi mit einer kleinen Brücke über den Bach Nervi; weiter bergwärts verband in früherer Zeit die «römische Brücke» die beiden Teile der ursprünglichen Siedlung.
Im Hintergrund ist die Villa Gnecco zu sehen. Der lange, enge, in den Felsen gehauene Fußweg ist in Wirklichkeit ein mit Diskretion durchgeführtes städtebauliches Unternehmen: er bildet ein langgezogenes Belvedere von außergewöhnlichem Reiz.
Auf halbem Weg erhebt sich der gegen die Sarazenen gebaute Turm Gropallo (16. Jh.). Sogar der Bau der Eisenbahnlinie (1868) hat hier nicht viel Schaden angerichtet. Sie verläuft etwas höher und berührt die Promenade in keinem Punkt; Unterführungen verbinden sie mit dem Bahnhofsplatz und dem Viale delle Palme, einer von Gärten und Hotels gesäumten und doch keinesfalls aufdringlichen Straße.
Eine weitere Unterführung verbindet diese Promenade direkt mit einer zweiten Sehenswürdigkeit Ner vis, dem Park Serra Gropallo Ursprünglich handelte es sich um zwei verschiedene Villen, obwohl die beiden Anlagen in bezug auf die landschaftliche und botanische Grundkonzeption auf das gemeinsame Modell zurückzuführen sind, das I. Durazzo im 18. Jahrhundert in Genua verbreitete.
Auch die Familien Serra und Gropallo adaptierten ihre Parkanlagen nach diesem Vorbild.
Im Jahre 1928 richtete die Gemeinde Genua in der architektonisch wertvolleren Villa Serra die Galerie der Modernen Kunst (Galleria d'Arte Moderna) ein und schloß die beiden Grundbesitze zu einem städtischen Park zusammen. Dieser große, früher bis zum Meer reichende Komplex umfaßt eine Fläche von 8 Hektar und besitzt mindestens 50 mediterrane und exotische Pflanzenarten, von denen einige besonders selten sind.
Auf den großen, suggestiven Wiesenflächen findet seit den 50er Jahren alljährlich ein international anerkanntes Ballettfestival statt. Gegen Osten schließt sich an diese Anlage noch der Park Grimaldi (18. Jh., heute ebenfalls Stadtpark) mit seinem berühmten Rosengarten.
Die Villen haben an der Nordseite ihren Eingang an der Via Capolungo, die noch den gewissen Charme eines vergangenen Elite-Tourismus ausstrahlt.
Das glorreiche Albergo Eden (Nr. 24-30), dem die Gebäude der Via del-le Palme bald den Rang abliefen, wurde zum Apartmenthaus umgebaut. Die Villa Luxoro (Nr. 27) beherbergt ein weiteres städtisches Museum mit einer Sammlung von Möbeln, Keramik, Silbergeräten und Krippenfiguren genuesischer und ligurischer Tradition.
Kurz bevor die Küste wieder sichtbar wird, lohnt sich ein Blick auf die Kirche Sant'Erasmo (18. Jh.), Schutzpatron der Seeleute. Eine Abzweigung der weiter oben verlaufenden Via D. Somma in Richtung Monte Giugo führt zu dem auf einer Höhe von 195 m ü.d.M. gelegenen Ort Sant'llario mit seiner Pfarrkirche, die schon im 12. Jahrhundert Erwähnung fand, heute aber neu erbaut wurde.
Dieser Ort ist landschaftlich besonders reizvoll und bietet einen großartigen Ausblick auf Nervi und seine Küste.