Von der «Ripa» zum Dogenpalast
Die Zentren der politischen, religiösen und kommerziellen Macht, denen wir auf diesem Rundgang begegnen, liegen nicht wie in anderen mittelalterlichen Städten Italiens um einen Platz, Symbol der historischen und urba-nistischen Entwicklung.
Die repräsentativsten Bauten Genuas sind an einer Längsachse aufgereiht, die vom alten Hafenbecken nordwärts bis zu den modernen Straßen führt, und veranschaulichen die schwierige Integration kleiner und kleinster Machtzentren in ein harmonisches Stadtbild.
«Private Kommandobrücken vieler kleiner Schiffe» — dieser Vergleich scheint durchaus angebracht. Die Arkaden der «Ripa maris» wurden ab 1133 gemäß der Verordnungen der Stadtkonsuln erbaut; ein kleiner Mauerrand schützte diese Küstenstraße vor Sturmfluten.
Hier entstand der erste malerische Markt: Händler und Handwerker boten ihre Waren feil, Schiffe legten hier an und die Stadtverwaltung trieb die Zölle für die verkauften Waren ein.
Dank der Restaurierungsarbeiten des vergangenen Jahrhunderts sind diese Arkaden, die Portici di Sottoripa. auch heute noch von regem Geschäftsleben erfüllt; die Reihe der hohen und antiken Gebäude samt des hohen Turms der «Morchi» wird heute aber leider von einem modernen Hochhaus unterbrochen.
Der große Platz, auf den sie gehen, wurde Caricamento, d.h. Verladungsplatz, genannt, als er im Jahre 1854 Zielbahnhof der neuen Eisenbahnlinie Turin-Genua wurde, die den Güterverkehr vom Hafen ins Hinterland beschleunigen sollte.
Im Osten wird der Platz von der «Casa di San Giorgio» begrenzt, der berühmten Institution, Wiege des modernen Bankwesens, die die öffentlichen Schulden sowie die Steuereinnahmen verwaltete und ab dem 15. Jahrhundert hier ihren Sitz hatte.
Der mittelalterliche Teil des Gebäudes wurde mit der Funktion eines «Palazzo Comunale» auf Anregung des «Capitano del Popolo» Guglielmo Boccanegra im Jahre 1260 von dem berühmten Baumeister Frate Oliverio erbaut.
Eine Inschrift auf der der Stadt zugerichteten Fassade besagt: «Im Jahre 1260 verordnete Guglielmo Boccanegra, capitano dieser Stadt, meine Errichtung; und so wie befohlen ward, wurde ich in meiner jetzigen Form von Frate Oliverio, einem Mann mit wahrhaft göttlichem Scharfsinn und Talent, errichtet».
Sein ursprünglicher Name war Palazzo del Mare und zwei Jahre lang bis zum Sturz Boccanegras konzentrierte sich hier die politische Macht der Stadt. 1570 wurde das Gebäude im Zuge seiner rasch anwachsenden Bedeutung und seiner Funktionen gegen Süden zu erweitert: die «Casa San Giorgio» verwaltete damals Korsika und Besitze an den beiden Rivieren.
Der moderne Flügel war in keiner Weise zweitrangig, im Gegenteil, er übertrumpfte bald den mittelalterlichen Kern und wurde an der dem Meer zugewandten Seite mit Fresken und später mit einem Uhrwerk verziert. Besagte Fresken wurden jetzt — zum zweiten Mal in unserem Jahrhundert — auf Veranlassung des Ministeriums für Kulturgüter wieder restauriert und der Palast zeigt sich erneut in seiner ursprünglichen Pracht.
Das Innere des Palazzo San Giorgio, die Sale «del Capitano, dei Protettori und Manica Lun-ga» und die Akzentuierung gewisser mittelalterlicher Merkmale an den Außenwänden sind das Resultat von Restaurierungen, die von Al-fredo D'Andrade, dem Direktor des Denkmalschutzes von Piemont und Ligurien, und seinen Schülern im vorigen Jahrhundert durchgeführt wurden.
Der Palazzo erfüllt auch heute noch voll seine Funktionen, er ist Sitz der Hafengenossenschaft (Consorzio Autonome del Porto). D'Andrade ist es auch zu verdanken, daß zahlreiche andere historische Bauten vor dem Abriß und vor der Verwahrlosung bewahrt wurden.
Bis zum Jahr 1840, als die Via San Lorenzo als Verbindungsstraße trassiert wurde, war der Dom vom Hafen aus nur durch kleine, mittelalterliche Gassen und über das belebte Handelszentrum Banchi oder weiter östlich über den Platz San Giorgio zu erreichen.
Hinter der Apsis der in erhöhter Lage gebauten Kirche San Pietro — die Kosten ihrer Errichtung wurden durch den Verkauf der Läden gedeckt, die auch damals schon ihre Grundfesten stützten — befindet sich die Piazza De Marini, sin Gebiet im Besitz der gleichnamigen Familie, von der uns auch die Loggia an der Piazza Cinque Lampadi erhalten ist.
Die Plätze wurden zwar durch Abbruch einiger Häuser erweitert, die Stadtpalais wurden umgebaut oder neu errichtet, aber die Straßen blieben weiterhin eng und dunkel; so blieb auch den Teilnehmern an den feierlichsten Zügen zur Kathedrale nichts anderes übrig, als durch den düsteren Vico del Filo (Fadengasse) zu schreiten, der übrigens nicht einmal direkt auf das Hauptportal ausgerichtet war.
Der Volksmund hat diesen unverzeihlichen Fehler in einem Sprichwort verewigt: «Das (...) ist wie der Vico del Filo, der nicht einmal gerade auf San Lorenzo zu geht!».
Da ist es nicht verwunderlich, daß sich ein Adeliger, der Magnifico Giacomo Imperiale, sogar selbst eine Straße (Via Scurreria) bauen ließ, die seinen Palazzo mit dem Dom verband. Piazza delle Scuole Pie ist durch den obengenannten Vico del Filo zu erreichen; im 16. Jahrhundert trug sie den Namen einer dort ansäßigen Familie, Cicala, die übrigens auch einen Kardinal im Stammbaum hatte.
Das Familienpalais (Nr. 3) besitzt mittelalterliche Arkaden mit authentischen römischen Säulen. Der heutige Name stammt von dem Orden der Piaristen, die ihre Schulen hier einrichteten. Ihnen sind sowohl die spätbarocke Fassade und Freskenausschmückung der Kirche San-tissimo Nome di Maria (1712, heute wegen Baufälligkeit geschlossen), als auch die Rokokodekoration am Palazzo Elena (Nr. 10) zu ver danken.
Ganz im Stil des Cinquecento ist jedoch die Piazza Invrea (ehemals Squarciafico) mit dem Palazzo Squarciafico-lnvrea (herrliche restaurierte Fresken an der Fassade und Innendekoration von O. Semino, 16. Jh.). Die ersten Quellen bezüglich der Kirche San Lorenzo stammen aus dem 9. Jahrhundert.
Ihre sichere Lage innerhalb der eben erbauten Stadtmauern am Stadttor Serravalle ermöglichte ihr das Privileg der Würde einer Kathedrale, die ihr von der außerhalb gelegenen, älteren Kathedrale San Siro übertragen wurde. Wie bei allen großen Bauwerken dieser Art erstreckt sich der Bau dieser Kathedrale über Jahrhunderte und die Phasen ihrer Entwicklung verlaufen symmetrisch zu den künstlerischen und kommerziellen Beziehungen zu Nachbarkulturen, die die Stadt im Laufe der Zeit anknüpfte.
Die romanische Phase des 12. Jahrhunderts (einige Elemente sind auch älteren Datums) ist an den Seitenportalen San Giovanni und San Gottardo erkenntlich. Sie schmücken römische Architrave und Stützbalken mit zoo-morphen und antropomorphen Motiven, die auf byzantinische Stoffe und pisanische Skulpturen zurückzuführen sind.
Auf die gotische Phase (Anfang 13. Jh.) bezieht sich die gesamte Hauptfront mit ihren Portalen; das erste imposante Rippengewölbe hätte sich nach dem ursprünglichen Projekt auf alle äußeren und inneren Strukturen der Kirche ausdehnen sollen.
Die Mitarbeit französischer Baumeister kann mit Sicherheit angenommen werden; es handelt sich zweifellos um eines der schönsten Werke europäischer Gotik. Von den zwei geplanten Türmen wurde nur einer im 18. Jahrhundert fertiggestellt.
Spätere Eingriffe zielten darauf hin, die verschiedenen Stile und Proportionen der Kirche miteinander in Einklang zu bringen.
Aus dem 15. Jh. stammen die Rosette an der Hauptfassade und die Kapelle, die die Asche des Hl. Johannes des Täufers aufbewahren sollte. Die Kapelle dieses Heiligen — Schutzpatron der Stadt — wurde von den Bildhauern Domenico und Ella Gagini geschaffen; die Statuen an den Innenwänden sind von Matteo Civitali und Andrea Sansovino (Der Täufer, Madonna mit Kind).
Im 16. Jahrhundert wurden die Gewölbe der Kirchenschiffe erhöht und mit Mauerwerk bedeckt, das Tambour durch die von Galeazzo Alessi geplante Kuppel ersetzt und Querschiff und Apsiden neu gestaltet und ausgeschmückt.
Im vergangenen Jahrhundert wurde schließlich das gesamte umliegende Gebiet urbanisiert, die gleichnamige Straße wurde gebaut und der Kirchplatz tiefer angesetzt. Daraus ergab sich die Anlegung eines Treppenaufgangs zum Dom, dessen Seiten mit zwei «modernen» Löwen (C. Rubatto) geschmückt wurden.
Stilgerecht sind dagegen die wunderschönen, säulentragenden Löwen an den Ecken der Hauptfront und die Skulptur des Heiligen mit der Sonnenuhr, der von den Genuesen liebevoll «Arrotino» (Schleifer) genannt wird. Gold-und Silbergeräte von unschätzbarem Wert, Prozessionsstatuen, Monstranzen, Reliquiengefäße und dgl., Meisterwerke aus allen Epochen, werden im Souterrain, im Museo del Tesoro di San Lorenzo, einem der schönsten Museen Europas, aufbewahrt (F. Albini und C. Marcenaro, 1956).
Der Eingang liegt in der Sakristei. In der Via T. Reggio an der Nordseite der Kirche sind heute noch die Reste der Stadtmauern aus dem 9. Jahrhundert längs des Kreuzgangs des Hl. Lorenzo (12. Jh.) zu sehen.
In dieser vom Verkehr kaum berührten Straße, die an den Dom und den erzbischöflichen Palast grenzt, befanden sich einst wichtige Zentren der städtischen Macht, wie z.B. der Palazzetto Criminalc (heute Staatsarchiv) aus dem Jahre 1581 mit drei Loggienreihen über einem Innenhof; dieses Gebäude war über 200 Jahre lang Gefängnis der Republik, auch wenn uns diese seine Bestimmung heute wenig plausi bei erscheint.
Eine elegante Loggia mit drei Bogen und zwei Reihen von Vierbogenfenstern an einer weiß — grau gestreiften Fassade charakterisieren den erstklassig restaurierten Palazzo degli Abati, der 1291 als Residenz des «Abate del Popolo» auf einem von der Familie Doria gekauften Gelände erbaut wurde.
Einige Jahre später kaufte die Stadt das angrenzende Stadtpalais, das schon während des Exils seines Eigentümers Alberto Fieschi vorübergehend Sitz der Stadtverwaltung gewesen war.
In den darauffolgenden Bauepochen wurde dieses vollständig in den Palazzo Ducale (Dogenpalast) eingegliedert; zwei Bogen seiner Arkaden sind noch in der Via T. Reggio sichtbar, während sein Turm dem Palazzo Ducale einverleibt wurde: in dieser sogenannten Grimaldina, die als Gefängnis diente, starb der Patriot Jacopo Ruffini (eine Inschrift erinnert an dieses historische Ereignis), und in der im 16. Jahrhundert aufgestockten Glockenstube wurde vor nicht allzulanger Zeit die riesige Glocke wieder an ihren ehemaligen Platz zurückversetzt.
Wie wir sehen, gibt es keine «Piazza Comunale» in dieser Stadt, sondern Stadtpaläste Doria oder Fieschi, die sich im Laufe der Geschichte als Anhänger der Weifen bzw. der Gibellinen gegenüberstanden und strategische Punkte zwischen dem Stadttor Serravalle und dem Bischofssitz besetzten, der in den vorhergehenden zwei Jahrhunderten alle Macht auf sich konzentriert hatte.
Die Familie Doria hatte gerade erst (1278) in etwas erhöhter Lage die dem Hl. Matthäus geweihte Kirche neu erbauen lassen, um die sich die Stadtpaläste der Familie gruppierten.
Von der linken Seite der Kirche aus gesehen reihen sich folgende Paläste aneinander: der Palazzo Branca Doria, der älteste, mit romanischen Arkaden und Innenhof in reinstem genuesischen Frührenaissancestil; die Palazzi Domenicaccio Doria (Nr. 16), Quartara (ehemals Doria, Nr. 14, Portal mit dem Hl. Georg), Palazzo Lamba Doria (der Sieger von Curzola 1298, einer der glanzvollsten Momente der genuesischen Geschichte im Kampf gegen Venedig um die Vorherrschaft auf den Meeren des Orients) und der im Jahre 1528 dem Andrea Doria vermachte Palazzo, über dessen mit Kandelaberornamenten geschmücktem Portal die diesbezügliche Inschrift zu lesen ist.
Das Innere der Kirche San Matteo (16. Jh.) wurde im Auftrag Andrea Dorias von Gio. Angelo Montorsoli, Gio. Battista Castello «M Ber-gamasco» und Luca Cambiaso ausgeschmückt und ist ein schönes Beispiel manieristischer Kunst.
Der wohl einzigartige Kreuzgang von San Matteo ist uns in seiner ursprünglichen Form erhaltengeblieben; eine Inschrift tragt den Namen des Meisters Marco Veneto und das Datum 1308.
Der ganze Platz erhält durch die schwarz-weißen Fassaden und gotischen Arkaden, sowie durch einige Elemente der Frührenaissance ein harmonisches und homogenes Gepräge.
Das ist die Faszination der Piazza San Matteo, die uns ganz spontan die Atmosphäre einer Familiengemeinschaft, in diesem Fall die der Doria, ins Gedächtnis ruft, einen fundamentalen Kern der städtischen Entwicklung Genuas.
Die Salita San Matteo führte einst zur Kirche San Domenico, heute erreicht man über sie in kürzester Zeit das moderne Stadtzentrum und Piazza De Ferrari.
Diese plötzlichen Kontraste sind typisch für Genua: es handelt sich um zwei Seiten derselben Realität, das Gestern und das Heute, die sich konstant gegenüberstehen. An der Piazza De Ferrari kennzeichnet die kompakte Ostseite des Dogenpalasts diese ideale Grenzlinie zwischen antiker und neuer Stadt.
Im Inneren öffnen sich jedoch weiträumige Säulengänge um den Innenhof und die Seitenhöfe in immerwährend variierenden Raum- und Lichteffekten. Dieses architektonische Meisterwerk aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert verdanken wir Andrea Ce-resola, genannt «der Vannone».
Die große Freitreppe mit niedrigen breiten Stufen, auf denen die feierlichen Züge der Dogen langsam und bedächtig aufwärts schritten, teilt sich in zwei seitliche Rampen, die zu den Seitenflügeln des Dogenpalasts emporschwingen.
Der westliche Flügel, dem der ehemalige Palazzo Alberto Fieschi einverleibt wurde, umgibt den größten Innenhof und enthält die großen Repräsentanzräume: die Appartements der Dogen, die mit prächtigen Fresken verzierte, der Gottesmutter «Königin von Genua» (1637) geweihte Kapelle (damals hieß der Palast noch «Reale»), die zwei Säle des «Großen und Kleinen Rats», die nach einem Brand im Jahre 1777 von Simone Cantoni im Stil des 18. Jahrhunderts wiedererrichtet wurden.
Von Cantoni stammt auch die neuklassizistische Hauptfront an der Piazza Matteotti. Auch der würdevolle Dogenpalast hat von 1291 bis ans Ende des 18, Jahrhunderts alle historischen Phasen der städtischen Entwicklung durchgemacht. Zwei Seitenflügel aus dem Jahre 1850 (von l. Gardella) vervollständigen den Bau, dessen Platz «Piazza del Palazzo» (heute Piazza Matteotti) bis zu diesem Zeitpunkt durch die sogenannte «cortina», ein befestigtes Gebäude, eingeschlossen war.
Nach Abschluß umfassender Restaurierungsarbeiten dient der Dogenpalast heute öffentlichen Zwecken als «Palazzo della Cultura». Die Kirche der Heiligen Ambrosius und Andreas, auch Kirche Jesu genannt, bewahrt in dem Doppelnamen die Geschichte ihrer Entstehung.
Um das 6. Jahrhundert ließ der Bischof von Mailand, Honoratius, hier für seine Mitbürger, die vor den Langobarden geflüchtet waren und hier im Gebiet «Brolio» Zuflucht gefunden hatten, ein kleines Gotteshaus errichten. Die Kirche, wie wir sie heute sehen, wurde am Ende des 16. Jahrhunderts von den Jesuiten nach den künstlerischen Kriterien erbaut, die für die Gotteshäuser dieses Ordens bezeichnend sind.
Eine Fülle an Marmor in allen seinen Varianten schmückt die Kapellen, vergoldetes Stuckwerk umrahmt Fresken von hohem künstlerischem Wert (G.B. Carlone und andere Meister der Zeit).
Zwei Meisterwerke aus dem 17. Jahrhundert haben aber die Kirche berühmt gemacht und die genuesische Malerei des 17. Jahrhunderts entscheidend beeinflußt: im Auftrag von P. Marcello Pallavicino schuf Peter Paul Rubens für den Hauptaltar das Altarbild Die Beschneidung (um 1605) und Die Wunder des HL Ignatius für die Kapelle des Nicolo Pallavicino.