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Pavia Allgemeines zu Pavia

 

 

 

 

 

Kloster von Pavia

Wenn man Pavia in südlicher Richtung verlässt, kommt man über eine lange gedeckte Brücke, die noch ganz mittelalterlich aussieht.

Sie überquert den Ticino, der hier sehr breit und mitunter reissend ist. Von der Mitte aus hat man einen wunderschönen Blick auf die zu Füssen des Doms gleichsam schlummernde Stadt. Wir schlagen aber eine andre als die Mailänder Route ein.

Wir fahren zu der acht Kilometer entfernten „Certosa". Die Karthause, die Giovanni Galeazzo Visconti gründete, sollte das Mausoleum für ihn und seine Familie sein und gewiss auch einige Sünden abtragen helfen.

Die grossen Herren dieser Zeit waren im Sündigen nicht ängstlich und ein Verbrechen kostete sie nicht viel Kopfzerbrechen; aber um sich zu dem Herrgott in gute, angenehme Beziehungen zu setzen, war ihnen kein Preis zu hoch.

Jedenfalls verdankt man ihm eine grossartige Bauschöpfung. Er befahl sie den Architekten, die sein Kastell in Pavia schufen und den Campionesi, die so glanzvoll am Mailänder Dom gearbeitet hatten.

Das Kloster war bereits um 1447 fertig, ein halbes Jahrhundert später folgte die Kirche nach, zuletzt die Fassade. Schon der Zugang ist reizvoll. Man kommt durch üppige Felder und Pappelalleen zum Eingang und findet jenseits noch einen mit Schilfrohr bewachsenen Wassergraben.

Man tritt unter ein Marmorportal, das von Luini mit Fresken geschmückt ist, kommt dann in einen weiten Hof mit Rasenflächen und hört, dass die Gebäude ringsum die Apotheke und die Gasträume für die Pilger darstellen.

Man entdeckt dann auch die Fassade des Asyls, wo lange Zeit die Mönche nach der Regel des Hl. Bruno lebten. Noch jetzt sieht man hier und dort verstohlen ihre weissen Gestalten mit den Kapuzen vorbeihuschen.

Die Brüder haben erfahren, was Schicksalswechsel ist. Josef der Zweite von Oesterreich, der Aufklärungsmonarch, hob ihr Privilegium auf und übertrug ihre Gebäude den Zisterziensern.

Von 1786 an waren hier die unbeschuhten Karmeliter tätig, 1810 wurde das Gebäude auf Napoleons Befehl profanen Zwecken gewidmet. Im Jahre 1843 kehrten die Karthäuser zurück und reparierten die Schäden, die aus dieser Besetzung entstanden waren.

Aber 1866 hob die italienische Regierung die Mönchsorden auf und ihre Unterdrückung in Pavia wurde 1881 definitiv. Erst die Vereinbarung von 1923 gab ihnen nach einem halben Jahrhundert des Scheinlebens das Leben zurück: sie durften ihr Heiligtum wieder beziehen und ihre mönchische Tätigkeit wieder aufnehmen, unter der Bedingung, dass die Certosa dauernd zugänglich und den Besuchern aller Nationen als historisches Museum geöffnet sei.

Man hat an der Fassade am Ende des Hofes viel zu bewundern. So die aus vielfarbigem Marmor zusammengesetzten Flächen, die feine Ziselierung, den reichen Zierat, dann überhaupt alle die für die Entfaltung der Renaissance so typischen, aber doch irgendwie den lombardischen Geschmack durchklingen lassenden Motive.

Die Fassade erinnert an eine zweistimmige oder doppeltonale Komposition. Sie ist eine Arbeit des Guiniforte Solan, des Mantegazza, des Amadeo und andrer Künstler.

Die Tür mit ihrem majestätischem Anblick stammt von Briosco. Zahlreiche Statuen von Propheten und Heiligen und eine Reihe ganz merkwürdiger römischer Medaillons — es sind phantastische Helden- oder Legendenfiguren — bilden einen Fries. Briosco hat auch die Reliefs gearbeitet, die die Geschichte des Ordens des hl. Bruno erzählen, die Grundsteinlegung, dann die Leichenfeierlichkeiten für Visconti den Wohltäter und die Einweihung der Kirche.

Viele Künstler aus Pavia und der Lombardei haben an den Reliefs der Wölbungen, den Lunetten und den wunderbaren Zwillingsfenstern ihr Können gezeigt.

Die grossartige, reich ausgestattete Rosette, die so echt italienisch ist, bildet eine Vorbereitung auf die Halblichter und Halbschatten des Heiligtums. Es hat die Form eines lateinischen Kreuzes und ein dreifaches Schiff und deutet schon auf die Majestät der Mailänder Kathedrale hin, an der Solari mitarbeitete.

Ein andrer Solari — es gab deren drei: Andrea, Giorgio und Cristoforo — schuf das wundervolle Grabdenkmal für Lodovico Moro und seine Frau, die junge schöne Beatrice d'Este.

Es befand sich in jener Kirche Santa Maria della Grazia, die bekanntlich das Abendmahl des Leonardo da Vinci beherbergt. 1574 wurde das Doppel-Grabmal nach der Certosa von Pavia geschafft.

Das Grabdenkmal des Gian Galeazzo (von Cristoforo Romano, Briosco und Bernardino da Novara) ist das Musterbeispiel für das Kunstideal von Fürsten, die noch nach ihrem Tod mit ihrem Reichtum und ihrer Macht imponieren wollten.

Wenigstens zeigt es, obwohl mit Allegorien überladen, doch eine saubere, ja technisch vollendete Arbeit. Bedauernswert, dass bis auf ein Bild von Andrea Solario und eins von Montagna die Malerei hier so gar nicht gegen die Plastik aufkommt.

Die manirierten Fresken, die Ambrogio Bergognone erzeugte, verstimmen einen schliesslich und die Sachen, bei denen man mehr den Auftrag als die Glaubensüberzeugung durchfühlt, langweilen und stossen ab.

Alles was Skulptur und Holzbildhauerei ist, ein von den Mönchen selbst schön ziseliertes Kruzifix inbegriffen, wirkt dagegen schön, auch das Polyptychon von Baldo degli Embriachi, das aus dem Zahn eines Hippopotamos geschnitten ist und in seiner Art zu den merkwürdigsten Elfenbeinarbeiten der Welt gehört.

Ach, man sieht ja hier noch so viel, dass man etwas schaumüde wird. Man sieht noch eine Urne von Galeazzo Alessi, zwei Kandelaber von Fontana, in den Kapitelsälen fesselt eine Kreuzabnahme von den Brüdern Mantegazza, eine Anbetung der Könige, in der Sakristei eine Himmelfahrt Mariae von Andrea Solari, vollendet von Bern. Campi 1576, und auf den Schaupulten liegen Chorbücher mit Miniaturen aus dem 16. Jahrhundert.

Man gelangt in den Kleinen Kreuzgang (chiostro piccolo), eine zierliche, viereckige Säulenhalle mit reizenden Terrakotten von Rinaldo de Stauris (1465). Unter dem nördlichen Teil des Säulengangs stösst man auf einen merkwürdigen Terrakotta-Brunnen und gelangt durch eine ziere Renaissancepforte in das Refektorium der Mönche.

An das Refektorium schliesst ein Museum, obwohl schon das Ganze wie ein Museum wirkt. Man betrachtet hier abermals Wandgemälde und gelangt zum Grossen Kreuzgang mit 123 Arkaden und vielen Terrakotten, die ebenfalls von Stauris herrühren. „Weisst du, was du sahst?", fragt man sich plötzlich.

Man ertappte sich darauf, seltsam Entlegenes gedacht zu haben. Ist man hier nicht ein Eindringling? Dieser Johann Galeazzo Visconti hatte ja etwas vom orientalischen Despoten an sich.

Es kam ihm nicht darauf an, gelegentlich einen Oheim zu überlisten und zu beseitigen. Er kaufte den Herzogstitel vom Kaiser Wenzel, er spielte den Protektor dieses Kaisers und half dessen bettelhaftem Aufzug ein bisschen nach, als er nach Paris zog. Und wie ein Grossinder baute er dieses Prachtmausoleum. Und duldet heute die Fremden, hier in seinem ureigensten Bezirk...?

Als das Geschlecht der Visconti ausstarb, folgte ihm das der Sforza in Mailand. Genauer genommen war der letzte Erbe die Fremdenindustrie. Gewiss bedauernswert. Aber doch die einzige Möglichkeit, sich heute mit den Visconti in Beziehung zu setzen, ihre wilde, oft grausame Grösse zu sehen.

Nehmen wir an, er, Galeazzo hätte die Certosa nicht gebaut, so müsste man in Bibliotheken sitzen, um mühselig etwas über ihn zusammenzuscharren.

Dadurch, dass er den Bau aufführen Hess, gab er ein Bild seines Lebens, seines von der Renaissance bedingten Ich. Nur soweit sie Bild geworden ist, wirkt Geschichte lebendig.

Die Anabasis der Zehntausend wäre ein leeres Schulwort, hätte Xenophon sie nicht gestaltet, und Rienzi tauber Schall, wäre er nicht durch Bulwer und Richard Wagner Bild geworden. Nun erraten wir die Bedeutung der Certosa. Sie verbindet uns mit einem Grossen Heldenspieler der italienischen Geschichte, es ist, als gingen wir in seinem, zum steinernen Wunderbau gewordnen Ich umher.

„Sic transit gloria mundi?"

Nein, so geht die Herrlichkeit der Welt nicht vorbei, so bleibt sie.

Aufrichtig gesagt, man scheidet von diesen gehäuften Sehenswürdigkeiten etwas abgespannt, weil keines jener ganz grossen Kunstwerke darunter ist, das einen beseligt und entführt.

Aber es war immerhin ein Vergnügen, in diesem stillen umblühten Kreuzgang zu wandeln, durch die Arkaden auf den Rasen hinauszublicken und sich darüber zu befragen, wie etwas zugleich ernst und heiter sein kann.

Es gibt aber noch einen zweiten Kreuzgang, der viel grösser und von ausgesuchter Anmut ist. Auf seine breite Säulenhalle gehen die 24 Wohnungen (celle) der Mönche hinaus.

Sie haben kleine Freiheiten: sie können zum gemeinsamen Essen im grossen Refektorium zusammenkommen, das künstlerisch ausgeschmückt ist, sie können aber ihre Mahlzeiten auch in ihren abgeschlossenen Arbeitszimmern einnehmen, wohin es ihnen durch einen „Judas" (Schubfenster) gereicht wird.

Sie haben in ihren ganz individuell eingerichteten Zimmerchen eine Loggia und ein Miniaturgärtchen. Der grosse Schlafraum liegt im ersten Stockwerk, aber jeder Karthäuser kann auch in seiner Zelle schlafen, die ein Erdgeschoss und ein erstes Stockwerk besitzt.

Er kann sich oben der reinen Meditation hingeben, oder unten als Obstzüchter nützlich werden: er ist nur durch Mauern von jeder Berührung mit der Nachbarschaft getrennt. Man beneidet ihn darum. Welcher Segen, einsam zu sein, einsam mit Bäumen, Blumen und dem Brunnen!

Seit vier Jahrhunderten hat sich nichts an diesem Lebensstil geändert, nichts an dieser friedlichen Atmosphäre, nichts an dem Schweigen ohne Trauer, nichts an diesem gleichsam zeitentkommenen Dasein.

Nur wenige gleichgestimmte Menschen umgeben den Mönch, die gleich ihm so zu leben wünschten und gleich ihm tätig mit Händen und arbeitsam mit dem Geiste sind.

Und deshalb macht uns das Kloster in seiner Einfachheit einen weit tieferen Eindruck als die ganze vom stolzen Visconti mit Pomp ausgestattete Cer-tosa. Hier ist der Ort, wo man in Stunden des Zweifels und der innern Erschlaffung ein Asyl finden, wo man seine Träume leben und das Nichtzu verwirklichende verwirklicht sehen könnte.

Dazu trägt nicht nur der italienische Landschaftszauber, sondern im besondern noch der lombardische bei. Man glaubt sich ins Mittelalter zurückgetragen, um in einer ebenso derben wie treuherzigen und doch auch sanften, bruderschaftlichen Zeit, als Primitiver unter Primitiven zu leben.

Das ist das Geheimnis dieses Klosters von Pavia.