Die Behauptung, daß der Alpensteinbock ohne den Gran-Paradiso-Nationalpark ausgestorben wäre, ist keine Übertreibung. Das Gran Paradiso, in Höhen zwischen 1200 und 4000 m in den Grajischen Alpen gelegen und dem französischen Vanoise-Nationalpark benachbart, wurde 1851 ein Jagdgebiet und 1856 zum privaten Jagdrevier des italienischen Königshauses erklärt, bis es 1922 dem Volk übereignet und in den ersten italienischen Nationalpark umgewandelt wurde.
In einer Zeit, in der die Steinböcke überall sonst in Europa durch hemmungslose Bejagung ausgerottet worden waren, bildete das Gran Paradiso die letzte Zuflucht dieser Tiere.
Die Einrichtung des Nationalparks hat sie vor dem endgültigen Untergang gerettet; heute beläuft sich ihr Bestand wieder auf rund 3000 Exemplare.
Die Schutzmaßnahmen der Italiener waren so erfolgreich, daß inzwischen kleine Steinwildrudel in andere Teile der italienischen, Schweizer, französischen und österreichischen Alpen eingebürgert werden konnten.
Der Nationalpark wird im Westen, Norden und Süden von drei großen Tälern begrenzt, deren Böden leider nicht zum Park gehören, so daß die Steinböcke, wenn sie im Winter in tiefere Lagen absteigen, die Parkgrenzen überschreiten; viele Tiere werden dann abgeschossen, obwohl ein Gesetz besteht, das ihren Schutz überall garantieren soll.
Die Jagd rings um den Park hat beträchtliche Ausmaße angenommen, und die Wilderei stellt für die Aufseher wahrscheinlich das größte Problem dar.
Daß der Steinbockbestand durch die Bejagung so stark beeinträchtigt wird, hat seinen Grund vor allem in der geringen Vermehrung der Populationen.
Normalerweise bringen die Geißen nur alle zwei Jahre ein Kitz zur Welt, und in einem strengen Winter können viele Jungtiere erfrieren und verhungern.
Selbst die adulten Tiere sind davon betroffen, und insbesondere die Böcke sind bei Friihlingsanfang vielfach in einer schlechten Verfassung.
Die beste Zeit für die Steinbockbeobachtung ist der Abend oder der frühe Morgen. Die Tiere halten sich zwar gewöhnlich in Höhen über 3000 m auf, steigen aber in der Dunkelheit auf tiefergelegene Hänge ab. Geologisch ist die Landschaft ein Komplex aus Schiefer, Kalkschiefer, Gneis und Glimmer, der mit Quarz und eisenführenden Schichten durchsetzt und geädert ist.
Die Bergtäler innerhalb des Parks sind grün und bis zu 2300 m dicht bewaldet; die vorherrschende Baumart ist die Lärche. Man findet hier Wälder aus Zirbelkiefern und Fichten, die in den weniger dichten Zonen eine Strauchschicht aus Wacholder, Alpenrosen, Heidelbeeren und Erlen aufweisen.
Vogelbeeren und Bärentrauben gedeihen vor allem unter dem Laubdach der Fichten. Die Bergwiesen sind besonders schön im Juli, wenn sie mit Blüten übersät sind, über denen sich Apollofalter in großen Massen tummeln.
Am Eingang des Valnontey-Tals befindet sich ein interessantes Alpinum (»Paradisia«), in dem viele Pflanzenarten des Nationalparks auf engem Raum wachsen.
Früher besiedelten Wölfe, Braunbären, Luchse und Bartgeier das Gebiet, doch sie alle wurden ausgerottet, als der Park noch ein Jagdrevier war. Heute trifft man hier Füchse, Schnee- und Feldhasen, Gemsen, Murmeltiere und mehr als 80 Vogelarten an, darunter Steinadler und Uhus.
Parco Nazionale Gran Paradiso im Aostatal